Die berühmte Wächterfigur von Gizeh

Die sogenannte Große Sphinx von Gizeh zählt zu den eindrucksvollsten Monumenten des Alten Ägyptens. Sie zeigt einen liegenden Löwen mit einem menschlichen Kopf und wurde vermutlich zur Zeit der Vierten Dynastie unter Pharao Chephren erbaut – also vor über 4.000 Jahren.

Entstehung und Bauweise der Sphinx

Aus dem Kalksteinplateau bei Gizeh herausgeschlagen, entstand die Sphinx direkt vor dem Taltempel der Chephren-Pyramide. Jahrhunderte lang lag sie teilweise im Wüstensand vergraben – das schützte ihren Körper vor Wind und Erosion. Auffällig ist der im Verhältnis zum Körper ungewöhnlich kleine Kopf. Einige Forscher vermuten, dass der Kopf später umgestaltet wurde und ursprünglich größer war. Hinweise dafür liefert die vergleichbare Statue der Königin Hetepheres II.

Der Kopf ist mit dem traditionellen Nemes-Kopftuch bedeckt, die Nase fehlt heute ebenso wie der einst vorhandene Zeremonialbart – Fragmente davon befinden sich im British Museum. Der Löwenkörper ist rund 73,5 Meter lang und etwa 20 Meter hoch. Der Löwenschwanz liegt elegant am rechten Hinterbein an.

Farben und Tempel in der Umgebung

Spuren von roter Farbe am Ohr lassen vermuten, dass der gesamte Körper einst farbig bemalt war. Direkt neben der Sphinx steht ein Tempel, der stilistisch fast identisch mit dem Chephren-Taltempel ist. Untersuchungen deuten darauf hin, dass beide Bauten gleichzeitig errichtet wurden.

Restaurierungen und Erhaltungsmaßnahmen

Schon in der 18. Dynastie, vermutlich unter Amenophis II., wurde die Sphinx restauriert – vielleicht auch mit einer Umgestaltung des Kopfes. Auch die Pfoten wurden mehrfach überarbeitet. Thutmosis IV. ließ zwischen den Vorderbeinen die sogenannte Traumstele errichten, auf der er seine Berufung zum Pharao schildert.

Später – in ptolemäischer und römischer Zeit – wurde das Monument erneut freigelegt und repariert. Unter anderem befreiten Kaiser Mark Aurel und Septimius Severus die Statue vom Sand. Im 19. Jahrhundert begannen Forscher wie Giovanni Battista Caviglia mit weiteren Ausgrabungen. Dabei entdeckte man Fragmente des Bartes und begann erste moderne Konservierungsmaßnahmen.

Geheimnisse rund um die Sphinx

Mehrere Schächte in und um die Statue geben Archäologen bis heute Rätsel auf. Manche führen unter den Körper, andere befinden sich an der Rückseite. Keiner dieser Räume konnte bislang abschließend untersucht werden – doch sie wecken bis heute Spekulationen über verborgene Kammern.

Moderne Restaurierungen

Im 19. Jahrhundert verstärkten die Ägyptologen Auguste Mariette und Gaston Maspero gefährdete Stellen mit Mörtel – eine umstrittene Maßnahme, die aber bis heute Bestand hat. Die letzte umfassende Restaurierung leitete Zahi Hawass im Jahr 1998. Am 25. Mai desselben Jahres wurde die vollständig restaurierte Sphinx wieder für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Zustand und Besonderheiten der Sphinx

Der stark verwitterte Rumpf der Sphinx zeigt deutlich größere Schäden als der Kopf – ein Effekt, der auf Feuchtigkeitsschäden durch ein einst feuchteres Klima in Ägypten zurückzuführen ist. Thutmosis IV. berichtet auf der Traumstele, dass die Sphinx oft bis zum Hals im Sand vergraben war. Dieser Umstand trug zwar zur Erhaltung des Kopfes bei, setzte den Körper jedoch starker Erosion aus.

Ende des 19. Jahrhunderts entstand ein Luftbild der Sphinx aus einem Heißluftballon. Es zeigt ein Loch am oberen Teil des Schädels, das laut späteren Berichten 1925 bei einer Restaurierung mit Zement verschlossen wurde. Die genaue Ursache dieses Hohlraums bleibt bis heute ungeklärt.

Maße der Sphinx

Die Sphinx misst etwa 73,5 Meter in der Länge – davon entfallen 15 Meter auf die ausgestreckten Vorderbeine. Der Kopf ist rund 6 Meter hoch, während die Gesamthöhe der Statue etwa 20,2 Meter beträgt. Die Breite liegt bei ca. 4 Metern.

Der Zweck der Sphinx

Bis heute ist unklar, wofür die Sphinx ursprünglich errichtet wurde. Manche Forscher vermuten eine symbolische Funktion als Wächterin des Gizeh-Plateaus. Der Ägyptologe Herbert Rickey hielt sie für eine Darstellung des Sonnengottes Harmahis (eine Form von Horus). Andere sehen in ihr ein Abbild von Chephren – oder sogar von Cheops. Bisherige Vergleiche des Sphinx-Kopfes mit bekannten Darstellungen dieser Pharaonen liefern jedoch keine eindeutigen Ergebnisse.

Aufbau und Gesteinsschichten

Früher wurde angenommen, der Kopf sei nachträglich aufgesetzt worden – diese Theorie ist jedoch widerlegt. Der Geologe Thomas Aigner konnte nachweisen, dass für den Bau der Tempel um die Sphinx unterschiedliche Kalksteinschichten genutzt wurden. Der Sphinx-Tempel wurde auf der Höhe der Brust errichtet, während Blöcke vom oberen Bereich für den Taltempel Chephrens verwendet wurden. Diese Bauweise deutet auf eine gleichzeitige Errichtung von Sphinx und Tempelanlage hin.

Der Untergrund der Sphinx

Untersuchungen im Fels unter der Sphinx suchten nach möglichen Kammern oder geheimen Hohlräumen. Solche wurden jedoch nicht gefunden. Aus Sorge um mögliche Schäden untersagte die ägyptische Antikenbehörde (SCA) weitere Bohrungen.

Ausgrabungen im Lauf der Geschichte

Die erste bekannte Freilegung der Sphinx erfolgte durch Thutmosis IV., der auch die berühmte Traumstele zwischen den Pfoten errichten ließ. Später befreiten römische Kaiser wie Mark Aurel und Septimius Severus die Statue erneut vom Sand.

In der Neuzeit war Giovanni Battista Caviglia einer der ersten modernen Entdecker – zwischen 1816 und 1818 legte er große Teile der Statue frei und fand Fragmente des zerbrochenen Zeremonialbarts, die heute im British Museum ausgestellt sind.

In den 1920er-Jahren führte der französische Ingenieur Émile Baraize umfangreiche Restaurierungen durch. Auch John Perring und später Selim Hassan untersuchten die Statue intensiv. Letzterer entdeckte eine Lehmmauer und einen Ziegelstein mit dem Namen Thutmosis IV.

Die fehlende Nase der Sphinx

Die Nase der Sphinx ist seit dem Mittelalter verloren. Der arabische Historiker al-Maqrizi berichtet, dass ein Sufi-Fanatiker namens Muhammad Saim al-Dahr sie im Jahr 1378 abschlug – aus Protest gegen die damalige Verehrung der Sphinx als heilige Figur. Der Täter wurde anschließend von der Bevölkerung getötet.

Berichte aus dem 13. Jahrhundert von al-Baghdadi zeigen die Sphinx noch mit Nase, was diese Version unterstützt. Der dänische Zeichner Frederik Ludvig Norden fertigte 1738 eine Zeichnung an, die die Statue ebenfalls nasenlos darstellt – lange vor Napoleon. Die oft verbreitete Behauptung, französische oder osmanische Truppen hätten bei Übungen die Nase abgeschossen, gilt daher als widerlegt.

Napoleon selbst schätzte die ägyptische Kultur zutiefst. Seine Expedition zeichnete die Sphinx bereits in ihrem heutigen Zustand – ohne Nase – auf.

Die Sphinx in anderen alten Kulturen

Bereits im 2. Jahrtausend v. Chr. tauchen Sphingen nicht nur in Ägypten, sondern auch bei Völkern des Nahen Ostens auf – etwa bei den Phöniziern, Hethitern und Assyrern. In Reliefs, Fresken und Glyptiken sind sie dort mit tierischem Körper und menschlichem oder tierischem Kopf dargestellt. Besonders imposante Darstellungen finden sich bei den Hethitern, wie etwa das berühmte Sphingentor in Alaca Höyük. In der Stadt Karkemisch sind ebenfalls Sphingen mit Löwenkörper und menschlichem Kopf zu sehen, teilweise in Kombination mit Säulen oder als architektonische Trägerfiguren.

In Zincirli (dem alten Sam’al) und Tell Halaf waren sie fester Bestandteil von Palast- und Grabarchitektur. Phönizische Darstellungen zeigen Sphingen mit Menschen- oder Falkenköpfen, oft mit Flügeln, auf Elfenbeinreliefs, Bronzegefäßen oder Siegeln. Frisuren und Bekleidung – wie etwa Schürzen – deuten auf eine spezifische stilistische Entwicklung dieser Kultur hin.


Die Sphinx in der griechischen Welt

Die Griechen interpretierten die Sphinx auf eigene Weise: Für sie war sie ein weibliches, geflügeltes Mischwesen, im Gegensatz zur ägyptischen Version mit männlichem Kopf. Ab dem späten 8. Jahrhundert v. Chr. wurde sie zunächst als dekoratives Motiv in der Vasenmalerei verwendet. Im 7. Jahrhundert v. Chr. fand sie auch Eingang in die Monumentalskulptur, insbesondere als Grabwächterin oder Tempelwächterin. Die griechische Sphinx galt zudem als eine Art Todesdämon, der zwischen Leben und Jenseits stand – ähnlich wie der ägyptische Totengott Anubis.


Die Sphinx in der europäischen Kunst

In der europäischen Kunst des Mittelalters erscheinen Sphingen vor allem in romanischen Kapitellen und dekorativen Elementen. Im 18. Jahrhundert, zur Zeit des Klassizismus, wurden sie wiederentdeckt – vor allem als Gartenskulpturen mit ägyptisierendem Einschlag. Sie symbolisierten nun Unsterblichkeit, Mysterium und Weisheit.

Der deutsche Dichter Johann Gottfried Herder widmete der Sphinx sogar eine Erzählung (1785), in der sie als rätselhaftes Symbol zwischen Leben und Tod erscheint. Künstler jener Zeit stellten sie häufig als weibliches oder androgynes Wesen dar – was zur heute weit verbreiteten Annahme beiträgt, die Sphinx sei weiblich, obwohl sie in Ägypten meist männlich dargestellt wurde.


Die Sphinx in moderner Symbolik

Der Schriftsteller Thomas Mann verleiht der Sphinx eine besondere Bedeutung in seinem Werk Tod in Venedig. Darin beschreibt er zwei Sphingen am Eingang der Grabhalle des Münchner Nordfriedhofs als “Tiere vom Ende der Welt” – Symbolfiguren zwischen Untergang und Auferstehung.

Das Original dieser ungewöhnlichen Figuren – mit Hahnenkopf und Heiligenschein – ging in den 1960er-Jahren verloren. Zum 200-jährigen Bestehen der Friedhofsverwaltung beschloss der Münchner Stadtrat eine Rekonstruktion. Die Steinrestauratoren Barbara Oppenrieder und Wolfgang Gottschalk entwickelten das neue Modell.

Die neuen Sphingen tragen Zitate aus dem Markusevangelium:„Seht und betet“ – „Denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt. “

Diese Verse, kombiniert mit der Symbolik des Hahns und des Sonnenaufgangs, deuten auf die Hoffnung auf Auferstehung hin. Die Sphingen stehen somit nicht nur für Tod, sondern auch für den Übergang ins Licht – im christlichen Glauben das ewige Leben.